kein mensch ist illegal hamburg

"Ihr sollt wissen, daß kein Mensch illegal ist.
Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?"

Elie Wiesel

Dienstag, 1. November 2016

Die Eingeschlossenen von Lesvos - von der Insel der Solidarität zur Hochburg der Abschiebungen


 Lesvos die Insel der Solidarität vom letzten Sommer, wo hunderte täglich ankamen und hunderte solidarische Menschen sie in Empfang nahmen, ist nicht mehr da.
Die solidarischen Menschen sind noch da, aber scheinbar erstarrt an den Entwicklungen und dem Politikwechsel der Regierung Syriza, nach dem EU-Türkei-Abkommen.

Das Lesvos, dessen  BewohnerInnen, die Omas und die Fischer, für den Nobelpreis nominiert wurden, hat ein Jahr später im Oktober 2016, ein anderes Gesicht: es wird die Insel der Eingeschlossenen.



6.000 Menschen, die seit Monaten im hotspot  Moria, im Kara-Tepe-Camp und in anderen von NGOs geführten Unterkünften warten und nicht wissen für wie lange. Die Asylprozedur fängt nicht mal an, und jetzt, Wochen nach dem letzten Brand im Hotspot, sind die Asylbüros ganz geschlossen auf unbekannte Zeit. Jetzt weis ich warum es Hotspot heißt.

Nach dem 20. März, als das EU-Türkei-Abkommen eingeführt wurde, können neu ankommende Flüchtlinge nicht mehr weiter .Sie wurden gezwungen, auf der Insel in den Camps zu bleiben und werden sortiert nach Rückführungen oder eventuell irgendwann die Chance haben, Asyl zu beantragen.

Auf der Insel ist die Stimmung dem entsprechend umgekippt : Hotelbesitzer geben den Flüchtlingen die Schuld an ihren nicht gebuchten Hotels, obwohl jeder weiß, dass sehr viele Hotels aber auch Hausvermietungen, Restaurants usw. seit der Ankunft der hunderten von NGOs und volunteers, aber auch Frontex, Easo usw. blühen . Eine Wintersaison, wo alles weiter läuft, ist seit letztem Jahr eingeführt. Das Geld verdienen von Reisebüros, Autovermietungen, Restaurants, Tankstellen und Supermärkten blüht weiter.
Trotzdem, die Stimmung kippt zum Rassistischen: Eltern sperren den Eingang von Schulen, damit  Flüchtlingskinder nicht eingeschult werden. Derselbe Bürgermeister, der sich mit der Solidarität schmückte, verbietet jetzt Hausbesitzern und Hoteliers an NGOs zu vermieten, um Unterkünfte zu machen. Dörfer demonstrieren gegen die Öffnung einer Minderjährigenunterkunft in ihrem Dorf.
Als ob ein Tsunami der Abschottungslogik in den Gehirnen der locals gewütet hat, der sie von jedem logischen Denken befreit hat.


Minister Mouzalas macht öffentlich, dass es die EU ist, die ihm erlauben kann, Flüchtlinge von den Inseln aufs Festland zu bringen.. Er gibt damit öffentlich zu, dass die griechische Regierung die Macht über Entscheidungen in ihren Gebieten abgegeben hat. Die Kolonialzeit Griechenlands ist eingeführt und wir alle schauen zu und glauben unseren Ohren nicht, aber schweigen.

6.000 Eingesperrte auf Lesvos warten auf ihre Asylinterviews. Die von der EU beschlossene Anzahl der EASO-Beamte, die in Griechenalnd ankommen sollten, um die Asylanträge aufzunehmen, lassen auf sich warten, 30 von 400 sind seit Monaten angekommen. Genauso wie die relocation-Zahlen nicht von den europäischen Ländern erfüllt werden, so wie beschlossen in dem Abkommen mit Griechenland.
In den Hotspots auf den Inseln ungeduldige Verzweifelte legen Feuer, immer wieder. Zur Vermeidung von mehr riots wurde der hotspot Moria teils geöffnet . Sogar die Minderjährigen, die bis vor 2 Monaten ganztags und über mehrere Monate eingesperrt blieben, dürfen allein raus gehen und kommen auch freiwillig zurück abends.
“Nur” alle Neuankommende und alle die im pre-removal sind, zur Abschiebung freigegeben, können nicht raus.

Trotzdem ist die Stimmung im hot spot  besonders für alleinstehende Frauen nachts unerträglich, viele schlafen auf dem Boden in Zelten ohne jeden safe space.
Die zufällig von uns mitgekriegten Beispiele, wie die 126-jährige syrische Kurdin die einen ganzen Monat im hotspot “wohnen” musste, bis endlich sie und ihre Begleitfamilie inclusive eine Hochschwangere Papiere bekommen haben, um nach Athen zu gehen. 30 Tage hat keine der viele NGOs im hot spot  sich gekümmert, die alte Dame und die schwangere Mutter mit vier Kindern in einer Wohnung unterzubringen.

Im camp KaraTepe, wo viel bessere Bedingungen herrschen und Freiheit, sind trotzdem die Menschen am verzweifeln, weil sie aus der Insel nicht weg dürfen.Nicht die Kranken, nicht die Alten, nicht Menschen, deren Verwandte in anderen europäischen Ländern sind und Familienzusammenführung beantragt haben.
Schwerverletze, die im Krankenhaus sich behandeln lassen und dann ein Papier bekommen wollen, um nach Athen weiter reisen zu dürfen, um richtig behandelt zu werden, bekommen dieses Papier nicht, sondern Beruhigungsmittel verschrieben. Es gibt kein Entkommen aus der Insel.

Eine alte Dame, die nach ihre Ankunft im Krankenhaus operiert wurde, kämpft seit Wochen, um einen Befund und eine Bestätigung der OP zu bekommen.  Es wird ihr gesagt: leider gibt es kein Papier, das sie da operiert wurde. Aber nur mit dem Papier könnte sie weiter fahren nach Athen und erfahren, ob ihr ein bösartiger oder ein gutartiger Tumor entfernt wurde.
Copyshops weigern sich, alles zu kopieren, was einen offiziellen Stempel drauf hat, Sicherheitsbeamte halten Reisende mit gültigen Dokumente vom Einsteigen auf die Fähren ab und zwingen sie, zum hotspot zu gehen, um ihre Papiere prüfen zu lassen. Jeder der nicht weißer Europäer ist, kann es vergessen, ohne tagelangen Ärger aus der ehemaligen “Insel der Solidarität” wegzukommen. Sogar ein Europaabgeordneter musste sich einer zweistündigen Kontrolle unterziehen wegen seiner Hautfarbe…

Die auf der Insel steckengeblieben Flüchtlinge, die Glück haben, werden von ihren Verwandten aus Europa besucht. Die Mutter oder den kleinen Bruder werden besucht, um sie zu trösten und ihnen Mut zu machen, dass dieses elendige Warten irgendwann ein Ende nehmen wird. Die, die solche Glücksmomente erleben dürfen, sind wenige.

Die meisten verzweifeln immer wieder. Manche verlieren ihre Geduld, versuchen mit allen Mitteln, sich in LKWs zu verstecken, um mit der Fähre nach Athen zu kommen, trotz der Militarisierung des Hafens manche mit Erfolg. Andere bezahlen dafür sogar viel Geld.
Sie wissen vielleicht nicht, dass wenn sie die Insel verlassen, verlieren sie gleichzeitig ihr Recht auf Asylbeantragung und werden zur Abschiebung freigegeben. Andere nehmen in ihrer Verzweiflung den Weg, auch bezahlt und gefährlich, zurück in die Türkei.

Die Regierung kündigt an, ab November 2016 wöchentlich 200 Rückführungen in die Türkei zu machen von Lesvos. Reell werden seit ein paar Wochen jede 2-3 Tage unauffällig mit den Tagesausflugsschiffen von frontex gemietet, Menschen abgeschoben nach Dikili.  
Gleichzeitg mit der von frontex gecharteten ASTRA Airline werden syrische Menschen nach Adana zurückgeführt. Das alles ohne großes Aufsehen und  ohne grosse Medienpräsenz. Parallel werden die Menschen aus dem Magreb,  aus Ägypten, Bangladesch und Pakistan mit Schnellverfahren von ihrem Recht auf Asyl befreit, sodass die Schiffe nach Dikili immer Kundschaft haben. Persönliche Asylgründe haben in diese Prozedur keinen Platz.
Parallel plant die Regierung gegen den Willen der Bevölkerung und des Bürgermeisters die Eröffnung eines neuen hotspot / preremoval centers. Um die Gegenstimmen zum Schweigen zu bringen, wollen sie jetzt innerhalb Morias bauen. Sie versprechen sich schnellere Abschiebungen, wenn die Menschen vorher schon eingesperrt sind.
Es ist offensichtlich, das Lesvos eine zentrale Abschiebehochburg wird , aus der Angst der griechische Regierung, das EU-Türkei-Abkommen zu brechen und dafür zahlen zu müssen. Dass heute in deutschen Medien die nachricht steht, dass es EASO und Asylbehörden der EU-Länder sind, die nicht mehr bereit sind, ihre Beamten nach Lesvos und die anderen Inseln zu schicken aus Sicherheitsgründen, und damit selber das Abkommen brechen, scheint nicht so bekannt.  

Genauso wie bei den Koordinierungstreffen, organisiert von der Inselverwaltung und dem UNHCR, wo eins der Dauerthemen “Sicherheit” ist. Aber denkt nicht, dass es um die Sicherheit der Flüchtlinge geht, der jungen Mütter, der Minderjährigen, der alleinstehenden Frauen, sondern um die Sicherheit ihrer MitarbeiterInnen.

Die Flüchtlinge, eingesperrt in einen unsicheren Ort, haben auch hier in der EU angekommen keine Rechte. Oder ist vielleicht Lesvos nicht mehr EU? Es könnte sein, dass aus der Insel ein Transitbereich gemacht wurde, wo die EU- Grenzsicherung im Vordergrund steht. Wer die Perversität der EU-Flüchtlingspolitik beobachten will, geht momentan nach Lesvos.

Ich bin seit vier Monaten auf der Insel und mich begleitet ständig das merkwürdige Gefühl frei zu sein auf einer Insel, wo ein Teil der Bevölkerung eingesperrt ist. Eine Art Apartheid der Moderne. Unsere Parole FREEDOM OF MOVEMENT ist das was jeder Eingesperre sich wünscht und  FÄHREN NOT FRONTEX auch, aber in der richtige Richtung……
marily stroux


http://lesvos.w2eu.net